08.10.2020

«Verwaltungsräte auf der Suche nach der Balance zwischen Profit und Purpose»

ESG im Verwaltungsrat

Investoren beurteilen vermehrt die Umwelt- und Sozialverantwortung sowie die Corporate Governance (ESG = Environment, Social, Corporate Governance) der Unternehmen. Auch Kunden, Mitarbeiter und weitere Anspruchsgruppen interessieren sich für die nachhaltige Ausrichtung von Firmen. Entsprechend ist das ESG Thema zu einem wichtigen Agenda Punkt für den Verwaltungsrat geworden.

Ausgangslage

Im August 2019 haben 200 CEOs amerikanischer Grosskonzerne in einem Business Roundtable festgehalten «Shareholder Value is no longer everything». Der Paradigmwechsel kommt zu einem Zeitpunkt, an dem etliche Bluechip Unternehmen mit wachsender globaler Unzufriedenheit in Bezug auf Einkommensungleichheit, schädliche Produkte und schlechte Arbeitsbedingungen konfrontiert sind. Die Diskussion hat in den vergangenen Monaten weiter an Relevanz gewonnen. Die Öffentlichkeit interessiert sich für den Klimawandel, den nachhaltigen Umgang mit Ressourcen oder soziale Ungerechtigkeiten. Dieser Bewusstseinswandel fordert Unternehmen ihre Rolle in der Gesellschaft zu überdenken und ein neues Gleichgewicht zwischen Profit und «Purpose» zu finden.

Balance zwischen ESG und Gewinnmaximierung

Für Unternehmen stellt sich die Frage, wie sie diese Balance zwischen ESG Ansprüchen und Gewinnmaximierung finden können. Untersuchungen zeigen, dass Unternehmen, die ökologische, soziale und Governance-Themen berücksichtigen, keine negativen Auswirkungen auf die Wertschöpfung erfahren - ganz im Gegenteil: Von über 2'000 analysierten Studien in 2015, haben 63% einen positiven Impact von ESG Beiträgen auf die Eigenkapitalrendite festgestellt. Aber wie entscheidet das Unternehmen, wenn es einen Zielkonflikt gibt? Essenziell für Corporates ist auch die Frage, welche strategischen Veränderungen notwendig sind, um langfristig den Anforderungen gerecht zu werden, und einen Wettbewerbsvorteil daraus zu generieren. Selbstverständlich sind die Herausforderungen unterschiedlich in den verschiedenen Sektoren. 

Strategische Herausforderungen

Wenn wir das Thema Umwelt auswählen und Kohlendioxid (CO2) - Emissionen anschauen, sehen wir beispielsweise, dass der Gebäude und Bausektor in 2018 für 39% der energie- und prozessbedingten CO2-Emissionen verantwortlich war, 11% davon entfielen auf die Herstellung von Baumaterialien und -produkten wie Stahl, Zement und Glas. Landwirtschaft und Landnutzungsänderungen tragen ebenfalls erheblich zum Klimawandel bei; insgesamt sind sie für mindestens 23% aller vom Menschen verursachten Treibhausgasemissionen verantwortlich (IPCC 2017). Für Unternehmen der Bauindustrie fragt sich also wie die Zukunft des Bauens aussieht, oder für eine Agrikultur Unternehmen, wie die Menschheit künftig ernährt wird. Konsumenten möchten heute wissen, woher ihre Produkte stammen und unter welchen Bedingungen diese produziert wurden. Studien von McKinsey zeigen, dass 70% der Konsumenten bereit sind, 5% Aufschlag für ein grünes Produkt zu bezahlen. Auf der sozialen Ebene wird das Thema Diversität im Zuge der «Black Life Matters» Bewegung von einer neuen Seite beleuchtet, wobei natürlich geschlechterspezifische und kulturelle Vielfalt, oder ganz einfach Diversität des Denkens, mehr denn je gefragt sind, um ungewohnte Herausforderungen, wie wir sie gerade erleben, erfolgreich zu meistern. Nicht zu vernachlässigen sind auch die Erwartungen der Mitarbeiter, insbesondere der jungen Workforce: Sie wollen für Arbeitgeber tätig sein, die sich für höhere gesellschaftliche Ziele engagieren.

Zusammensetzung des Verwaltungsrats

Neben den strategischen Weichenstellungen stellt sich für den Verwaltungsrat die Frage, ob das Gremium richtig aufgestellt ist, um den veränderten Anforderungen in Bezug auf Umwelt, Sozialverantwortung und Corporate Governance als strategisches Sounding Board gerecht zu werden. Abhängig von Industrie, strategischen Prioritäten und ESG Fokus können dies ganz unterschiedliche Profile sein. Bei Umweltthemen geht es oft um zukunftsträchtige Innovationen. Persönlichkeiten aus der akademischen Forschung, der Wirtschaftspolitik, aus einem renommierten Think Tank, oder selbstverständlich auch Führungskräfte mit einem Leistungsausweis in den betreffenden Nachhaltigkeits-Themen können diesbezüglich neue Denkweisen einbringen. Aus der sozialen Perspektive kann es je nach strategischer Priorität Sinn machen Board Members mit einer Verankerung in den wichtigsten Absatzmärkten, Produktionsregionen oder entlang der Supply Chain zu berücksichtigen, beispielsweise eine Insiderin der chinesischen Ecosysteme, oder einen Experten in digitaler Supply Chain. Selbstverständlich deckt jedes Verwaltungsratsmitglied mehrere Dimensionen an Kompetenzen, Rollen und Perspektiven ab und sollte sich bei einem Grossteil der Verwaltungsratsagenda einbringen können. Wie oft geht es um die richtige Balance: Die notwendige Diversität mit genügender Expertise im Kerngeschäft zu verbinden, um das ideale Gleichgewicht zwischen Profit und Purpose zu finden. 

Bio

Sabine Kohler ist Founder und Managing Partner der Board Boutique GmbH, einer Board Advisory Boutique, die auf die Auswahl von Verwaltungsräten und Konzernleitungsmitgliedern spezialisiert ist. Zuvor war sie über 6 Jahre Partnerin bei Dr. Bjørn Johansson Associates. Ursprünglich diplomierte sie in Architektur an der ETH Zürich und begann ihre Karriere bei IBM. Danach wechselte sie zum Beratungsunternehmen Accenture und später zu SWISS. 2013 schloss sie ein Executive MBA an der HSG ab.